Gemeinschaftliche Selbsthilfe – Was bringt es für den Einzelnen?

Selbsthilfegruppen bilden auch nach wie vor den Kern der gemeinschaftlichen Selbsthilfe. Für viele Betroffene bilden diese einen großen Mehrwert außerhalb fester institutioneller Strukturen. Doch auch die Peer-Beratung erfährt eine vermehrte Nachfrage und kann ein wertvolles Angebot von Betroffenen für Betroffene darstellen.

Der Nutzen für den Einzelnen lässt sich allerdings sehr schwer objektiv darstellen. Einige wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, bietet der folgende Beitrag.

Selbsthilfegruppen bilden weiterhin den Kern der Selbsthilfe. Dabei finden sich zahlreiche Unterstützungsmöglichkeiten in Hinblick auf Krankheitsverarbeitung und -bewältigung. Zentrale Inhalte beziehen sich meist auf emotionale Entlastungen und soziale Teilhabe. Aus Sicht der Selbsthilfe zeigt sich der wahrgenommene Nutzen für Mitglieder vor allem im Zugang zu Gesundheitsinformationen, in der Vermittlung von Halt und Zuversicht, Vermeidung sozialer Isolation, dem Erwerb sozialer Fähigkeiten und dem gestärkteren Umgang mit Behandelnden (siehe Abb.1) [10].

 

Abb. 1: Wahrgenommener Nutzen der Selbsthilfe aus Sicht von 1192 SHG-Sprecher/ -innen (in %) [10].

 

Bezogen auf die Gruppenmitglieder zeigt sich der Nutzen vor allem in der Vermeidung sozialer Isolation, dem offenen Problemaustausch, dem Erfahrungsaustausch, Stärkung im Umgang mit der Erkrankung und dem Wissenserwerb (siehe Abb.2)  [4].

 

Abb. 2: Wirkungen der Mitglied-schaft in einer SHG aus Sicht der SHG-Mitglieder. [4] 

 

Vergleicht man Mitglieder/-innen von Selbsthilfegruppen mit Betroffenen außerhalb dieser Gruppen, dann fallen im indikationsbezogenen Wissen und verschiedenen Aspekten des Selbstmanagements, zum Teil auch der Selbstwirksamkeit, signifikante Unterschiede zugunsten der SHG-Mitglieder auf [5]; [6].

[…] „Durch Informationen der anderen Mitglieder erhöht sich das Wissen, der Erfahrungsaustausch erhöht das Handlungsspektrum und erweitert das Selbstmanagement, das Miteinander-Reden schult die Interaktionskompetenz“ [7].

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Studienlage zur Darstellung der Wirksamkeit von Selbsthilfegruppen durchaus ausbaufähig ist, jedoch erste Erkenntnisse vorallem im Hinblick auf eine verbesserte Gesundheitskompetenz vorliegen [5]; [6].

 

Beratung von Betroffenen für Betroffene ist auch außerhalb der Selbsthilfegruppe oder  – organisation ein häufiges Angebot. Häufige Formen sind dabei telefonische Beratung, aber auch digitale Formate, wie Videokonferenzen spielen eine zunehmende Rolle. Die Peer- Berater/-innen unterliegen hohen fachlichen und psychologischen Anforderungen. Daher schulen über zwei Drittel der Selbsthilfeorganisationen ihre Peer-Berater/ -innen in krankheitsspezifischen, psychologischen und sozialrechtlichen Grundlagen.

Ein Vorteil von Peer-Berater/-innen ist das authentische Auftreten. Im Gegensatz zu professionellen Berater/-innen können sie Erkenntnisse und Erfahrungen aus ihrem eigenen Leben wiedergeben, oft sogar verschiedene Dimensionen der Krankheitsbewältigung, Versorgung und Unterstützungsleistungen in ihrem Gesamtzusammenhang erkennen und darstellen [7].

Eine weitere Form der Peer-Beratung sind Lotsen-Projekte. Besondere Anwendung finden diese in den Bereichen Sucht und Behinderung. Die ehrenamtlich tätigen Betroffenen begleiten andere Betroffene für einen bestimmten Zeitraum durch das Hilfe- und Unterstützungssystem [1].

Die empirischen Befunde zur Wirkung von Peer-Beratung sind noch recht überschaubar. Bei einem Teil der Studien konnte kein signifikanter Vorteil der Peer-Beratung nachgewiesen werden. Ein anderer Teil kommt allerdings auch zu nachgewiesenen Effekten der Peer-Beratung. Diese liegen in einer reduzierten Hospitalisierungsrate [2]; [9], besserem Selbstmanagement (insbesondere Diabetes) [11]; [3], höherer Selbstwirksamkeit, höherem krankheitsbezogenen Wissen und Verbesserungen in klinischen Parametern wie dem HbA1c-Wert bei Menschen mit Diabetes mellitus [8]; [12].

Außerhalb dieser Befunde hat Peer-Beratung allerdings das Potential, Hoffnung und Zuversicht zu vermitteln, von Mitbetroffenen zu lernen und gesundheitsbezogenes Wissen zu vermitteln [7].

[1] Braeseke, G., & Pflug, C. (2017). Lotsen im Versorgungssystem. Gutachten und Ableitung konkreter Modellprojekte zu Lotsinnen und Lotsen im Versorgungssytem. Berlin: IGES Institut GmbH.

[2] Cherrington AL, Khodneva Y, Richman JS, Andreae SJ, Gamboa C,Safford MM (2018) Impact of peer support on acute care visits andhospitalizations for individuals with diabetes and depressive symp-toms: a cluster-randomized controlled trial. Diabetes Care 41(12):2463–2470

[3] Deng K, Ren Y, Luo Z, Du K, Zhang X, Zhang Q (2016) Peer supporttraining improved the glycemic control, insulin management, anddiabetic behaviors of patients with type 2 diabetes in Rural Commu-nities of Central China: a randomized controlled trial. Med Sci Monit22:267–275

[4] Dierks ML, Kofahl C (2019) Die Rolle der gemeinschaftlichen Selbst-hilfe in der Weiterentwicklung der Gesundheitskompetenz der Be-völkerung. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesund-heitsschutz 62(1):17–25

[5] Kofahl C (2018) Associations of Collective Self-Help Activity, HealthLiteracy and Quality of Life in Patients with Tinnitus. Patient Edu-cation and Counseling 101(12):2170–2178

[6] Kofahl C (2019) Selbsthilfe erweitert ihr Spektrum–Beratungsangeboteder Selbsthilfe. Präsentation auf dem AOK-Selbsthilfetag 2019

[7] Kofahl, C. (2021). Gemeinschaftliche Selbsthilfe und Gesundheitskompetenz – der Beitrag der Selbsthilfe zur Gesundheitsbildung des Einzelnen und der Bevölkerung. In Gesundheitskompetenz (S. 757-767). Springer.

[8] Lee R, Lee KS, Oh EG, Kim SH (2013) A randomized trial of dyadicpeer support intervention for newly diagnosed breast cancer patientsin Korea. Cancer Nurs 36(3):E15–E22

[9] Repper J, Carter T (2011) A review of the literature on peer support inmental health services. J Ment Health 20(4):392–411Reynolds A (2009) Patient-centered Care. Radiol Technol 81(2):133–147

[10] Nickel S, Seidel G, Weber J, Kofahl C, Werner S (2016) Erfolge undWirkungen aus Sicht der Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorgani-sationen. In: Kofahl C, Schulz-Nieswandt F, Dierks M-L (Hrsg) Selbst-hilfe und Selbsthilfeunterstützung in Deutschland. LIT, Münster,S 181–190

[11] Peimani M, Monjazebi F, Ghodssi-Ghassemabadi R, Nasli-Esfahani E(2018) A peer support intervention in improving glycemic control inpatients with type 2 diabetes. Patient Educ Counsel 101(3):460–466

[12] Wu CJ, Chang AM, Courtney M, Kostner K (2012) Peer supporters forcardiac patients with diabetes: a randomized controlled trial. Int NursRev 59(3):345–352